Aberwitzige Liebeserklärung... Unversehens wird die Geschichte des Schauspielers, der seine Familie im Namen der Kunst gnadenlos unterdruckt, zu einer aberwitzigen Liebeserklärung an das Theater. Das liegt nicht zuletzt an einem überragenden Wolfgang Häntsch, der in der Titelrolle Bruscon voll aufgeht.
Das Publikum lernt Bruscon als einen exzentrischen, stimmgewaltigen Choleriker kennen, der seine Familie malträtiert. Seinen Sohn Ferruchio (gespielt von Felix Lampert) denunziert der Familienpatriarch als „Nichtsnutz und Taugenichts“, seine Frau (Tini Prüfert) sei eine unter Hypochondrie leidende Proletarierin und Tochter Sarah (Birte Rüster) bezichtigt er als unverschämt und hinterlistig. Das jähzornige Verhalten hat Spuren bei allen Familienmitgliedern hinterlassen. So ist Bruscons Frau völlig verstört, rennt mit Hirschmasken singend über die Bühne, Tochter Sarah ist verschüchtert, leidet unter gelegentlichen Schreikrämpfen und der dem Vater gehorsame Sohn Ferruchio hat einen gebrochenen Arm.
Die Bühne des „Schwarzen Hirschen“ ist bereits halb zerfallen, Rohre sind defekt und Kabel hängen von der Decke. So projiziert Bruscon seine ganze Wut auf den Wirt des Lokals (Hermann Große-Berg), der die Gäste mit Blut verschmierter Schürze begrüßt: „Mein ganzes Stück geht in diesem scheußlichen Ort vor die Säue.“ Doch sämtliche Beleidigungen scheinen an dem Wirt mit der schlechten Auffassungsgabe abzuprallen.
Die von Bühnenbildnerin Rahel Seitz kreierte Kulisse wird im Laufe des Abends fast völlig zerlegt, Wassergläser werden zerworfen und die Schauspieler zeigen ein hohes Maß an Akrobatik. Auch wenn die Aufführung des „Rads der Geschichte“ im „Schwarzen Hirsch“ letztlich schief geht, im Rheinischen Landestheater werden Wolfgang Häntsch und seine Schauspielkollegen mit Ovationen gefeiert.
> Westdeutsche Zeitung, 14.9.08
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„Wenn wir ehrlich sind / ist das Theater an sich eine Absurdität“. Um in das Stück einzusteigen geht Regisseurin Corinna Bethge mitten in den Text vom Theatermacher hinein. ... Bernhards Stück erzählt ... von einer fahrenden Theatertruppe, die aus Vater, Mutter und zwei erwachsenen Kindern besteht und mit des Vaters eigener „Weltkomödie“ durch die Lande reist. Also lässt Bethge die vier Darsteller durch jenen Eingang zur Bühne gehen, den zuvor auch das Publikum nehmen musste. Sie bleiben vor dem roten Vorhang stehen, schauen sich um, während der ehemalige Staatsschauspieler Bruscon aus dem Bernhard-Text in Gestalt der realen Schauspielers Wolfgang Häntsch über das Wesen des Theaters an sich philosophiert.
Alsdann öffnet sich der Vorhang und gibt ein Holzgestell mit Pappwänden frei, das sich als Dorfkneipe „Schwarzer Hirsch“ entpuppt, in dem die Bruscon-Sippe Vaters Stück „Das Rad der Geschichte“ aufführen will... Rahel Seitz hat dafür einen sprechenden Raum im (Bühnen-)Raum gebaut, der die innere Dürftigkeit der Theatersippe und die äußere eines Dorfes symbolisiert. ...
Hermann Große-Berg als Wirt und die RLT-Neuen Felix Lampert als Sohn Ferruchio und vor allem Birte Rüster als Sarah holen aus ihren weitgehend stummen Rollen heraus, was machbar ist. ... Tini Prüfert spielt die Mutter Agathe ..., wie Bethge sie sehen will: als eher genervte und gar nicht so leidende Gattin. ...
Schlussszene... Bei Bernhard rennt das Publikum unmittelbar vor Aufführungsbeginn aus dem Saal, weil das von einem Blitz getroffenen, brennende Pfarrheus mehr interessiert als ‚Das Rad der Geschichte’... Bei Bethge hebt eine Explosion scheinbar alles aus den Angeln, lässt die Bruscons erst über die flackernde Bühne taumeln und dann in einem Tanz zu Leonard Cohen’s ‚Dance me to the End of Love’ im Irgendwo zusammenkommen... Freundlicher Beifall.
> NGZ, 15.9.08
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